Bei uns Draußen - wir wohnen ja so eher etwas am Rande eines Ballungszentrums- kann es vorkommen das der 'Nach-Hause-Weg' mit dem ÖPNV schon mal deutlich länger dauert, wenn man den passenden Anschluss verpasst. Oder eben -wie letzte Woche mein Filius- einen Bus später von der Schule los fährt.

Geschlagene zwei Stunden später als üblich kam der Jung´ am Freitag nach Hause, feuerte den Ranzen in die Ecke und schimpfte wie ein Rohrspatz: "Der Lehrer wäre schuld, das er jetzt zu spät zum Training beim FC Schwarzenberg käme".

Überhaupt ist der Klassenlehrer sowieso an vielen Dingen schuld. Neulich erst verlor seine Mannschaft wegen dem Klassenlehrer das Pokalderby! Der Benni -das ist der Torwart seiner Mannschaft- hat vom Klassenlehrer `ne Fünf in Mathe bekommen und konnte deshalb nicht am Pokalspiel teilnehmen. Benni ist übrigens der Sohn von meinem Schirikumpel Stefan. Der Stefan findet eine erneute 'Fünf in Mathe' für den Benni nicht gerade förderlich und hat seinen Sohnemann kurzerhand ein paar Übungseinheiten für die nächste Matheklausur verordnet, die am Montag nach dem Pokalderby geschrieben wurde.

Also letzten Freitag war der Klassenlehrer schuld daran, das mein Filius zu spät zum Training kam. Ein Telefonat mit dem Klassenlehrer klärte das natürlich auf. Wegen eines pubertärem Wutausbruchs - ich gehe hier nicht weiter drauf ein, Eltern mit Kindern in diesem Alter wissen wovon ich rede...-

Also wegen eines pubertärem Wutausbruchs verpasste mein Filius den Bus, weil es nach dem Unterricht noch ein "klärendes Gespräch" mit dem Klassenlehrer gab. Zur Rede gestellt war mein Sohn natürlich uneinsichtig und argumentierte, das seine Emotionen in diesem Falle etwas völlig normales in seinem Alter sind und der Klassenlehrer mehr Fingespitzengefühl hätte zeigen müssen.

Aha! Der Klassenlehrer ist also schuld daran das mein Sohn einen pubertär emotionalen Wutausbruch hatte, den Bus wegen einer berechtigten Disziplinarmaßnahme nicht bekam und deshalb zu spät zum Training gekommen ist.

Das kommt dem Siggi irgendwie bekannt vor.

 

Wer jetzt noch fragt, was die Geschichte mit Kreisligafußball zu tun hat, der hat offenbar die letzten Wochen nicht richtig aufgepasst oder er gehört zu der glücklichen Zielgruppe die keinen Draht zum Fußball haben. Solche soll es ja durchaus auch geben.

 

Die Geschichte der pervertierten Verkehrung von Täter und Opfer im Fußball

Die Geschichte der Konfrontation meines Filius mit seinem Klassenlehrer ist Spiegel dessen, was seit Jahren auf Deutschlands Fußballplätzen Gang und Gäbe ist.

Bei der Frage nach dem Täter und dem Opfer kommt es auf und neben dem Sportplatz immer wieder zu einer schon perversen Verkehrung der Beteiligten. Ein Spieler oder Teamoffizieller verstößt gegen die Spielregeln, indem er beispielsweise gegen die Entscheidungen vom Schiri protestiert. (Spoileralarm: Nach Regel 12 ist sämtlicher Protest gegen Schiedsrichter- Entscheidungen schon immer eine sogenannte Pflichtverwarnung).

Täter in dieser Situation ist also derjenige der protestiert und der Schiri ist hier quasi das Opfer des Protests. Leider wird durch die Kommentierung dieser regelkonformen Reaktion der Referee immer wieder zum Täter gemacht, dem das Fingerspitzengefühl fehle. Der eigentliche Täter wird dann zum armen Opfer des bösen, überharten Schiedsrichters.


N3 Sportclub: Ausschnitt aus der Sendung vom 09.02.2020


Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Jeder Spieler, der protestiert – gerade außenwirksam – setzt sich dem Risiko aus, dafür regelkonform sanktioniert zu werden. Bekommt er dann die entsprechende persönliche Strafe, ist das die Ahndung eines Fehlverhaltens.

Quelle: Deutscher Fußball Bund

Die Proteste von Spielern und Spieleoffiziellen bei denen den Bundesliga Schiedsrichtern mangelndes Fingerpitzengefühl vorgeworfen wird sind da nur die Spitze dessen, was sich regelmäßig in deutschlands Amateur- und Jugendligen abspielt. Für nahezu alles was einem nicht passt, oder wofür man zu bequem ist muss inzwischen das Fingerspitzengefühl herhalten. Das beginnt beim Spielbericht, geht über Textil- und Schmuckregelungen, Platzaufbau, Personen im Innenraum, Pöbeleien von Zuschauern und hört bei der Abstellkammer, die dem Schiri als Umkleide zugewiesen wird und der mangelhaften Torsicherung noch lange nicht auf.

Nun ist es aber so, das oftmals gerne die Geschichte in ein besseres Licht gerückt wird, indem man sie zwar richtig erzählt aber mit einer anderen Ursache beginnt und die entscheidende Ursache einfach mal weglässt. "Schließich ist der Schiri ja selber schuld das ihm die Flasche an den Kopf geworfen wird. Was gibt er auch den 11er und die Rote Karte!"

Ein Schiedsrichter agiert nicht, er reagiert

Vielleicht sollte man an dieser Stelle einmal etwas über die Funktion eines Schiedsrichters klar stellen. Eigentlich braucht es nämlich gar keinen Schiedsrichter. Oder? Für jedes Spiel gibt ein mehr oder weniger kompliziertes Regelwerk, selbst für die komplexesten Gesellschaftsspiele benötigt man keinen Schiedsrichter, weil ein Regelwerk für jede Spielsituation eine Lösung hat. 

Auch das Fußball Regelwerk ist derartig einfach, das es eigentlich keinen Schiedsrichter braucht.


Fußball ist ein ganz einfaches Spiel mit ganz einfachen Regeln. Das schwierigste daran ist es einfach Fußball zu spielen.

Johan Cruyff † , [Niederländische Fußball Legende] 


Als 1863 erstmalig ein Fußball Regelwerk aufgelegt wurde, war ein Schiedsrichter überhaupt nicht vorgesehen. Die Gentlemen brauchten auch keinen Schiri - die jeweiligen Mannschaftskapitäne regelten das sportlich fair untereinander. Erst 1880 wurde der Schiedsrichter erstmalig im Fußball Regelwerk aufgenommen. Der kam aber nur dann zum Einsatz, wenn sich die Mannschaftskapitäne nicht einigen konnten. Den Schiedsrichter als alleiniger Leiter eines Spieles hat man aber erst seit 1890 im Regelwerk verankert.

Fast ein Vierteljahrhundert kam der Fußball ohne Schiedsrichter aus, bis man feststellte, das man jemanden braucht, wenn der Kampf ums "Runde" nichts mehr mit dem "Runden" zu tun hat.

Damit sind wir bei der grundlegenden Definition von Ursache und Wirkung wann der Schiedsrichter in den Spielablauf eingreift. Nämlich nur als Reaktion auf eine Regelwidrigkeit oder eine Unsportlichkeit eines der Protagonisten.

Verhalten muss Konsequenzen haben sonst ändert sich nichts 

Gewalt gegen Schiedsrichter beginnt mit verbaler oder emotionaler Gewalt und endet leider nicht bei körperlicher Gewalt wie sie zuletzt aus vielen Teilen der Bundesdeutschen Amateurligen berichtet wurden.


In keiner anderen deutschen Sportart benehmen sich de`Spieler und Trainer auch nur annähernd wie die Wildsäue wie wir im Fußball in de' Bundesliga

Reiner Calmund [ehem. Fußballfunktionär und Fußballurgestein] in sport1 Doppelpass vom 02.02.2020


Das gipfelte dann in der Erkenntnis, dass der deutsche Fußball im internationalem Vergleich sowie auch im Vergleich der Sportarten innerhalb Deutschlands ein massives Respektproblem hat. Die Reaktion des DFB auf dieses Respektproblem ist längst überfällig gewesen. Es ist eine "Mecker- und Mobbingkultur" auf deutschen Fußballplätzen entstanden in der die Unsportlichkeiten -gerade gegenüber Schiedsrichtern- nicht nur in der Anzahl sondern auch in der Intensität zunahmen.

Die Schuld daran muss man dabei nicht nur Spielern bzw. Trainern aufgrund ihres eigenen unmittelbaren Verhaltens vorwerfen, sondern mit Sicherheit auch den Schiedsrichtern aufgrund ihrer Untätigkeit im Umgang mit diesen Respektlosigkeiten. Dabei hat sich ein selbst verstärkender Prozess entwickelt der sich vor allem auch in der Beurteilung der Schiedsrichterleistung gespiegelt hat.

Ist es wirklich so schwer sich respektvoll zu verhalten?

Viele persönliche Strafen wegen Unsportlichkeiten wurden -und werden zum Teil immer noch - vor allem durch die Schiedsrichterbeoachter in den Bewertungen der Schiedsrichterleistungen als Mangel an Persönlichkeit und fehlerhafte Wirkung ausgelegt. Wer von uns Schiedsrichtern kennt nicht die Dauerphrase bei jedem Lehrabend: "Die erste Gelbe muss aber sitzen, sie zeigt schließlich wo Du die 'Rote Linie' ziehst"  

Das ist vom Grundgedanken sicherlich auch ein Stück weit richtig, führte dann aber dazu, dass sich Schiedsrichter teilweise lieber anmeckern ließen, statt die Unsportlichkeiten konsequent zu ahnden. Hier ist ein Umdenken erforderlich, insbesondere bei der Frage danach, wer der eigentliche Täter ist.

Dabei ist die Entscheidung, mit dem Umdenkprozess in der medienwirksamen Bundesliga zu beginnen genau der Richtige diese Diskussion auch Bundesweit zu führen. 


Natürlich hat die Bundesliga Vorbildcharakter. Wenn Ronaldo ´n Sprung und 'n Torjubel macht, dann machen das Achtzigtausend Kinder nach. Und dann kann mir keiner erzählen, das gewisse andere Verhaltensweisen nicht auch nachgemacht werden.

Patrick Ittrich [Bundesligaschiedsrichter] im N3 Sportclub vom 09.02.2020


 

"Emotionen" dürfen nicht die neue Ausrede werden! 

Mit der Aufforderung an die Bundesliga-Schiedsrichter, Unsportlichkeiten generell konsequenter zu ahnden, hat der DFB quasi im Handstreich all denen ihr Hauptargument der Perversion der Verkehrung von Ursache und Wirkung aus der Hand geschlagen die zuletzt vom Weglächeln in den Profiligen profitierten. Das viel zu oft geforderte Fingerspitzengefühl eines Schiedsrichters kann nun nicht mehr als Euphemismus für eigenes Fehlverhalten benutzt werden.

Gefühlt gut ein Dutzend Verwarnungen hat es in den ersten zwei Spieltagen der Bundesliga Rückrunde wegen verschiedenster Respektlosigkeiten und Spielverzögerungen gegeben, die allesamt in der Hinrunde niemals geahndet worden wären und auch nicht geahndet wurden.

Einige dieser Respektlosigkeiten führten wegen sogenannter Vorbelastungen zu Feldverweisen und Gelbsperren andere waren die typischen "Gelben mit Folgen" die erst zu einem späterem Zeitpunkt wegen einer erneuten Unsportlichkeit zum Feldverweis führten. Das dabei längst nicht jedes Meckern, Ball wegschlagen oder -wegtragen und jedes Rudel geahndet wurde hat der Siggi als aufmerksamer Fußball-Zuschauer sehr wohl bemerkt.

Andererseits beobachtet der Siggi ebenfalls eine zunehmende Überraschung bei den typischen 'Kaffeeküchen-Gesprächen' im Büro am Montag Vormittag. Offenbar ist vielen Fußballkonsumenten überhaupt nicht bewusst gewesen wie viele Respektlosigkeiten es bereits in der Vorzeige Liga gibt. Hielten sie dies bisher doch immer für ein reines Amateursportproblem. 

Andere wiederum drängen sich in die medienwirksame Öffentlichkeit und üben Schelte an der "Neuen Regel", die sie als völlig Überzogen und nicht Zielführend kommentieren. 

Schnell hat man dann auch ein neues Zauberwort entdeckt, um die Argumentation wieder möglichst wirksam und eindrucksvoll in die altbekannten Bahnen der pervertierten Verkehrung von Täter und Opfer zu lenken 

Emotionen

Hierbei wird dann die Diskussion genau so wie die 'Fingerspitzendiskussion' von irgendwelchen selbsternannten Regelexperten sowie von denen geführt, die ihre Emotionen während des Spiels nicht unter Kontrolle gehabt haben und ihre als Emotionen getarnten Agressionen am Referee auslassen mussten.

Natürlich liebt auch der Siggi die Emotionen auf dem Fußballplatz. Den befreienden Torjubel ebenso, wie die Trauer nach hart umkämpften Pokalausscheiden. Das Siegerposen-Ronaldo-Plagiat ist dabei genau so erwünscht wie der Ärger nach der vergeigten Hundertprozentigen. Auch Schmerz will erlaubt sein, wenn er nicht zum Theaterspielen dient. 

Emotionen dürfen aber nicht als Toschlagargument für denjenigen herhalten der sich nicht benehmen kann. 


N3 Sportclub: Ausschnitt aus der Sendung vom 09.02.2020


Ich denke, wir haben jetzt genau den richtigen Nerv getroffen um eine Diskussion für eine neue Umgangskultur auf dem Fußballplatz anzustoßen. Ein Anfang ist gemacht und es freut mich den von mir häufig negativ besetzten Begriff der 'Vorzeige Liga' endlich auch einmal positiv besetzt zu verwenden.

In Kürze beginnt auch in den Amateurligen wieder der Spielbetrieb. Bleibt also abzuwarten wie weit die Diskussion auch auf Deutschlands Grantplätzen angekommen ist.

Bei allen Bundesliga Kollegen, insbesondere bei denen, die mir durch ihre Entscheidungen auf dem Feld oder in Beiträgen und Kommentaren besonders aufgefallen sind (Repräsentativ namentlich erwähnt: Deniz Aytekin in der Sportschau, Patrick Ittrich im N3 Sportclub, Felix Brych im Sportstudio und Tobias Stiehler konsequent auf dem Feld, sowie Peter Sippel mit einem DFB Statement) bedankt sich für eure Vorbildfunktion stellvertretend für alle Grantplatzkollegen 

Euer Siggi