Am ersten März des Jahres war ich in der Saison 2019/2020 letztmalig als Schiri unterwegs. Es war ein Sonntag, Kunstrasen am Stadtrand, Anstoß 15:30 Uhr und Stefan durfte ins Horn stoßen. Ich musste auf der Seite der Coachingzone mit der Fahne das Abseits anzeigen und das Wetter gab uns von Sonnenschein bis Hagel alles, was es Anfang März so im Repertoire hatte.

Wir schrieben den 21. von insgesamt 30 Spieltagen. Heim - auf Tabellenplatz 5 - hatte mit vier Punkten Rückstand auf den Ersten durchaus berechtigte Ambitionen auf einen Aufstiegsplatz. Gast - im Tabellen-Mittelfeld unterwegs-  war konkret nicht abstiegsgefährdet, rechnete aber dennoch mit ein paar Pünktchen für das Polster auf die Abstiegsplätze.

In diesem Bezirksligaspiel zeigte Heim, wer in der nächsten Saison aufsteigen will, machte bereits zur Halbzeit (4:1) alles klar und schaltete in der zweiten Hälfte einen Gang 'runter, ohne je die Kontrolle über das Spiel zu verlieren.

Beim Endstand von 6:3 gab es insgesamt 7 Gelbe Karten (3:4), der Schiri Beobachter bewertete das Spiel als "Einfach zu leiten, ohne Fehler, ohne besonders herausfordernde Spielsituationen" und lobte die gut eingespielte Zusammenarbeit des Gespanns.

Es waren an diesem Tag nicht nur die dunklen Regenwolken, die am Horizont regelmäßig auftauchten und uns mit kurzen Hagelschauern ein ums andere Mal den Spielspaß verdarben. Zwar konnte ich von meiner Position als Schiedsrichter Assistent, am gegenüberliegendem Horizont zwischenzeitlich einen wunderschönen, doppelten Regenbogen sehen, jedoch fühlte sich die Gesamtsituation auf der Sportanlage nicht nur wegen des durchwachsenen Wetters sehr unangenehm an.

Es lag eine merkwürdig, bedrückte Atmosphäre in der Luft. Man ging sich möglichst aus dem Weg und vermied zu intensiven Kontakt. Selbst die sonst übliche, herzliche Begrüßung mit dem Schiri Gespann des vorhergehenden Spiels war ungewöhnlich distanziert und auf das gesellschaftlich nötigste reduziert.

CORONA war in den Köpfen angekommen und warf an diesem Tag bereits deutliche Schatten. So waren die möglichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf dem Amateurfußball in Deutschland natürlich auch Gesprächsthema auf unserem Rückweg im Auto.

Und dann überschlugen sich die Ereignisse.

Innerhalb von etwa einer Woche wurde auf Empfehlung unseres Fußball Verbandes beim FC Schwarzenberg erst der Trainingsbetrieb eingeschränkt, dann die Sportanlage für Vereinsfremde gesperrt und letztlich wurden alle angesetzten Spiele in unserem Fußball Verband vorübergehend abgesagt. Auch unser geliebtes Vereinsheim machte seine Türen dicht und die für März geplante Mitgliederversammlung des 'FC' wurde ebenfalls auf unbestimmte Zeit verschoben.

Wie gesagt: Vorübergehend.

Während in den abendlichen Meldungen der Nachrichtensender jeder Fernsehkanal mit einer verhängnisvolleren Horrormeldung aufwartete um den jeweiligen Wettbewerber zu überbieten, rätselten wir im FC noch darüber wie - und vor allem wann - es mit dem Amateurfußball wohl weiter gehen wird.

Unsere Optimisten sprachen da von 14 Tagen und einige Andere gingen von etwa vier Wochen aus. Beide Gruppen vermittelten den Eindruck das COVID-19 vergleichbar eines Unwetters sei das sich in Kürze 'abgeregnet' hätte und bei dem man danach wie gewohnt wieder zur Tagesordnung übergehen könne.

Jeder, der bei uns von sechs Wochen sprach war bereits als Pessimist verschrien. Ganz zu schweigen von denen, die davon überzeugt waren, vor Saisonende im Juni sei mit einer Wiederaufnahme des Spielbetriebs nicht zu rechnen.

Wenn die Befürchtung der Erkenntnis weicht

Einhundertsechsunvierzig Tage - also gefühlt ein halbes Jahr - sind seit diesem Spiel am ersten März inzwischen ins Land gegangen. Einige besondere Optimisten hatten ja anfangs - so etwa gegen Ende April, Anfang Mai -  noch die Hoffnung, dass die Saison im Amateurfußball noch zu Ende gespielt werden könne: "Was in der Bundesliga geht, geht bei uns auf dem Grantplatz erst recht!"

Jedoch setzte auch bei diesen Optimisten irgendwann die Erkenntnis ein, dass es nicht mehr darum geht ob die laufende Amateursaison abgebrochen wird, sondern wie und mit welchen Ergebnissen.

Der Rest ist dann Verbandspolitik und Vereins-Geschachere. Jeder überbot den Anderen mit Spekulationen. Es wurden Tabellensituationen schön gerechnet und Szenarien so zurecht geschnitten das es zum Aufsteig oder zum Klassenerhalt der eigenen Mannschaft passt.

Wir Schiries haben diesen 'Tabellen-Endstands-Quotienten-Wettbewerb' mit großem Interesse jedoch sehr nüchtern verfolgt. Interessierte es uns doch nicht im geringsten, welche Mannschaft in der nächsten Saison in welcher Amateurliga spielt.

Auch die Vereinskameraden des 'FC' beteiligten sich nur sporadisch an dieser Diskussion. Der Aufstieg der einen Jugendmannschaft in die Jugend-Regionalliga war in jedem denkbarem Szenario eine klare Sache und alle anderen Mannschaften waren entweder weit genug von der Abstiegszone entfernt oder der Aufstiegsplatz lag mangels Punkten sowieso jenseits jedweder Debatte.

Es endete dann mit einem Verbandstag, bei dem alle Szenarien auf den Tisch kamen und darüber abgestimmt wurde wie die Saison beendet wird. Ganz davon abgesehen das einige durchaus ernst gemeinte Anträge der Vereine zum Tabellen-Abschluss eher zur Belustigung beitrugen als das sie einen sinnvollen Beitrag zur Diskussion lieferten gab es dann endlich einen Saisonabschluss. Jeder hätte sich vielleicht gerne noch ein sportliches Ende der Saison gewünscht aber die Faktenlage war viel zu erdrückend als das man darauf noch irgendeinen Gedanken verschwendete.

So stellte sich die Situation speziell für die beiden Kontrahenten unseres Bezirksliga-Spiels vom 1. März nach dem erzwungenem Saisonabbruch wie folgt dar.

Zum Aufstieg reichte es für Heim nicht. Da war wohl eher der Wunsch der Vater des Gedanken. Es sind halt nicht nur Punkte und Tore für einen Aufstieg nötig. Es spielen auch noch andere Mannschaften in der Staffel die ebenso ihre Punkte und Tore erzielen.

So rutschte Heim nach Quotientenregelung um einem Tabellenplatz weiter von der Tabellenspitze weg. Die regionale Berichterstattung hatte seinerzeit die zwei Spiele, die Heim zu diesem Zeitpunkt mehr hatte, wohl aus 'dramaturgischen Gründen' einfach unterschlagen. Gast hingegen konnte völlig gefahrlos und erwartungsgemäß die COVID-Saison im Tabellenmittelfeld abschließen.

Planung ist die geistige Vorwegnahme zukünftigen Handelns 

"Nach dem Spiel ist vor dem Spiel" pflegte Sepp Herberger zu sagen. Diese Fußballweisheit lässt sich dann auch auf die Fußball-Funktionärs-Ebene mit den Worten übertragen: "Nach der Saison ist vor der Saison"

Bereits seit Anfang Juli steht der Spielplan der DFL fest.

Da inzwischen der Trainingsbetrieb beim FC Schwarzenberg mit einigen Auflagen und Einschränkungen wieder erlaubt ist, fiebert man auch bereits einem Saisonstart entgegen. 

"Das Ganze ist doch völlig simpel! Man müsse doch nur... " beginnen die neunmalklugen Sprücheklopfer ihre Bonmots und beenden Sie damit das "die Sesselfurzer im Verband einfach nur mal ihr Hinterteil bewegen müssten."

Meinem Schiri-Kollege Stefan ist da letzte Woche der Kragen geplatzt: "Nicht mal einen Spielbericht richtig ausfüllen können aber wissen wie man einen Fußballverband organisiert", stutzte er unseren Kommentar Günter im Vereinsheim zurecht. 

Der Siggi kann sich gut vorstellen, das den Sportkameraden im Fußball Verband momentan richtig das Hirn raucht. 

Geht es doch in diesen Wochen darum eine Fußball Saison auf die Beine zu stellen, von der man überhaupt noch nicht weis wann sie beginnen kann. Zur Zeit sind bei uns ja noch nicht einmal Freundschaftsspiele erlaubt!

Wobei es mit der Organisation einer Fußball Saison derzeit noch gar nicht getan ist! Damit der Fußball Verband von den Gesundheitsbehörden überhaupt eine Genehmigung für den Spielbetrieb bekommt, wird eifrig auch noch an einem Hygienekonzept geschraubt.

Und spätestens jetzt wird es für den Siggi richtig gruselig!

Wenn Konzepte und Anweisungen auf die Realität des Grantplatzes treffen!

Ich habe mich mal so bei den Schiri-Kollegen aus dem Nachbarverbänden etwas umgehört. Zudem war Kollege Stefan eine Woche zu Besuch bei seiner Verwandschaft und konnte konnte bezüglich der Hygienekonzepte anderer Landesverbände ebenso interessantes in Erfahrung bringen.

Auf dem Papier sieht das alles sehr schlüssig aus. Da gibt es Zugangskontrollen zur Sportanlage, Zutrittsbeschränkungen für Innenräume rund um die Spielfelder, Abstandsregeln für Zuschauer, Kabinenbelegungsvorschriften, Dokumentationspflichten und so weiter und so weiter.

Und keiner kontrolliert das? Doch, natürlich der Heimverein.

Etwa genau der Heimverein, bei dem regelmäßig der Spielbericht unvollständig ist? Etwa genau der Heimverein, der sich in der letzten Saison ständig über Torsicherungen hinwegsetzt hat? Der schon seit zwei Jahren keine Schirikabine hat weil diese als Lagerraum an den Vereinswirt verpachtet ist? Etwa der Heimverein, dem es völlig egal ist das sich ständig unberechtigte Personen im Innenraum aufhalten? Oder vielleicht genau der Heimverein der sich permanent über irgendwelche Regelungen hinwegsetzt vom Schiri 'Fingerspitzengefühl' fordert wenn er verlangt das Regeln gebeugt werden und bei dem die Mannschaften 'Einfach nur Kicken' wollen?

Der Siggi ist in Gedanken mal die Sportanlagen durchgegangen, die er so aus der Erfahrung heraus kennt. Darüber hinaus ist der Siggi auch die Heimvereine mal in Gedanken durchgegangen deren sorgloser Umgang mit Regeln und Anweisungen ihm ein Dorn im Auge sind..

Da gibt es Sportanlagen, auf denen Hygienekonzepte überhaupt nicht umgesetzt werden können. Dürfen diese Vereine dann auch nicht am Spielbetrieb teilnehmen, oder müssen die auf die sowieso schon überfüllten Anlagen der Nachbarvereine ausweichen?

Ganz zu schweigen von den Vereinen, die vor dem Spiel immer erst einmal eine Märchenstunde mit dem Schiri abhalten warum irgendetwas nicht möglich ist, was in irgendeiner Form für den Spielbetrieb vorgeschrieben ist. Was aber plötzlich doch geht wenn man dem Märchenerzähler verdeutlicht das sein Märchen kein gutes Ende nimmt weil sein Spiel sonst nicht statt findet?


In einigen Nachbarverbänden hat der Meisterschaftsbetrieb zwar noch nicht begonnen, aber es sind bereits Vorbereitungsspiele erlaubt und durchgeführt worden. Was die Schiri Kollegen hier aus den Nachbarverbänden so erzählen ist kaum zu glauben:

 

  • Da kommen Schiri Kollegen bereits umgezogen auf die Sportanlage, weil sie Wissen, das es für sie weder Umkleide noch Hygienemöglichkeiten gibt und fahren direkt nach dem Spiel, so verschwitzt wie sie sind, wieder nach hause.
  • Da wird in die Botanik gepinkelt weil die Toilettenkapazitäten durch die CORONA-Auflagen nicht ausreichen.
  • Spielberichte werden weiterhin nicht kontrolliert - und schon gar nicht auf Vollständigkeit - obwohl sie eine wichtige CORONA Dokumentation sind.
  • Vorgeschriebene Einlaßkontrollen? Fehlanzeige.
  • Unberechtigte Personen im Innenraum? Hat uns sowieso noch nie interessiert!
  • Obwohl sich in den Umkleiden nur maximal 10 Personen (mit Maske) aufhalten dürfen stapeln sich dort zwei Mannschaften, weil es mal wieder schnell gehen muss. (Wir wollen doch nur Kicken!)
  • Dicht an Dich stehen die Zuschauer zwar hinter der Barriere, aber der Kollege SRA muss jedes mal in nicht einmal einem Meter Abstand an denen vorbei laufen weil der Platz einfach nicht grösser ist
  • Es werden von jedem Zugeständnisse gemacht, damit man Kicken kann und keiner denkt über die Folgen nach. Man muss halt Fingerspitzengefühl zeigen!

Inzwischen glaubt der Siggi tatsächlich daran, das es innerhalb der nächsten vier Wochen wieder Spielbetrieb geben wird.

Er glaubt daran, weil er davon überzeugt ist, das die Vereine auf Teufel komm raus ihre Spiele durchführen werden wollen. Er ist Überzeugt davon das in vielen Fällen und in langjährig gelebter Praxis mit dem berühmten 'Fingerspitzengefühl' argumentiert wird, wenn man wieder einmal von irgendjemanden erwartet das Regeln nicht so umgesetzt werden wie es vorgesehen ist.

Und genau mit der selben Forderung nach 'Fingerspitzengefühl' wie bei der Torsicherung, wird 'Fingerspitzengefühl' bei der Kabinenbelegung, der Menschentraube am Würstchenstand und der Schlange am Biertresen im Vereinsheim gefordert und damit jedes noch so ausgeklügelte Hygienekonzept des Fußball Verbandes ad absurdum  geführt.

Dem Siggi graust es bereits vor seiner ersten Spielleitung. Aber auf Eines könnt Ihr euch beim Siggi verlassen. 

Wird das Hygienekonzept des Fußballverbands nicht buchstabengetreu umgesetzt, ist der Siggi der Erste, der wieder nach Hause fährt und das Spiel ausfallen lässt.

Da ist der Siggi konsequent.